Sympathikus und Parasympathikus – Die Schlüsselregulatoren unseres Nervensystems verstehen
Sympathikus und Parasympathikus – schon mal gehört?
Das sind die beiden Hauptakteure deines Nervensystems, die dein tägliches Erleben steuern. Dabei haben beide ihre ganz eigene Art und Weise dein Überleben zu sichern. Doch bevor wir uns das im einzelnen ansehen, lass uns kurz einen Blick auf das Gesamtkunstwerk werfen: Dein Nervensystem.
Dein Nervensystem ist das komplexeste und am besten organisierteste System in deinem Körper. Es lenkt all deine Körperreaktionen auf die Umwelt. Es beeinflusst damit neben deiner Gesundheit, deinem Denken auch dein Handeln, deine Intuition und deine emotionalen Beziehungen. Es ist verantwortlich für deine innere Balance, hat einen großen Einfluss auf dein Immunsystem, deine Präsenz, deine Kreativität, dein Mitgefühl, deine Empathie und und und.
Wie arbeiten Sympathikus und Parasympathikus nun zusammen?
Jeder hat sicher schon einmal etwas vom Sympathikus und vom Parasympathikus gehört. Bis in die 90er Jahre ging man grob gesagt davon aus, dass wir nur diese beiden entgegen gesetzten Antagonisten in uns tragen. Zusammen mit dem enterischen Nervensystem bilden sie unser vegetatives Nervensystem. Es steuert alle lebenswichtigen Körperfunktionen wie die Atmung, den Herzschlag und die Verdauung.
Inzwischen wissen wir, dass es neben dem Sympathikus und dem Parasympathikus noch weitere komplexe Systeme in unserem Körper eng mit unserm Nervensystem zusammenarbeiten bzw. Teil von ihm sind.
Hier und heute soll es vorrangig um das Zusammenwirken der beiden bekanntesten Akteure gehen, den Sympathikus und den Parasympathikus. Grundsätzlich unterscheiden sich Sympathikus und Parasympathikus darin, in welchen Situationen, sie die Kontrolle über unseren Körper übernehmen. Außerdem haben sie dann unterschiedliche Auswirkungen auf unsere Organe.
Vereinfacht gesagt, funktioniert der Sympathikus als Gaspedal und ist für unsere in Sekundenbruchteilen ablaufenden Reaktionen auf alle Reize, die aus der Umwelt kommen verantwortlich. Er ist immer dann aktiv, wenn wir uns Gefahren aussetzen oder selbst aktiv sind.
Der Parasympathikus hingegen ist eher das Bremspedal und steuert alle Entspannungsvorgänge in unserem Körper. Er ist also dann aktiv, wenn wir uns in Ruhe befinden und sorgt dafür, dass unser Motor nicht überhitzt.
Wenn dein Körper
im Autopilot-Modus hängt…
👉 Entdecke mit dem Nervensystem-Test, ob du in einem dauerhaften Stresszustand feststeckst – und wie du wieder in deine Mitte findest.
Der Parasympathikus – Chillout in der Hängematte
Unser Parasympathikus ist dann aktiv, wenn wir es gerade nicht sind, also wenn wir uns im Ruhezustand befinden. Er steuert viele unserer Körperfunktionen, die in Ruhe- oder Erholungsphasen stattfinden. Dabei reguliert unser Parasympathikus die unterschiedlichsten Funktionen in unserem Körper wie den Herzschlag, die Atmung oder das Verdauungssystem, ohne dass wir das bewusst beeinflussen. Vorrangiges Ziel des Parasympathikus ist der Aufbau von Energiereserven und die Regeneration all unserer Organe und des Immunsystems.
Ist der Parasympathikus aktiv, hat dies unter anderem folgende Körperreaktionen zur Folge:
🔹 Verringerung des Blutdrucks
🔹 Verlangsamung unseres Herzschlags
🔹 Verringerung unserer Atemfrequenz
🔹 Anregung unserer Verdauung durch Produktion von Verdauungssäften
und Erhöhung der Darmbewegung
🔹 Steigerung unserer Immunkraft
🔹 vermehrter Speichelfluss
🔹 Verengung der Pupille
Wir brauchen also unbedingt die Aktivierung unseres Parasympathikus, um wieder Kraft zu sammeln, unseren Verdauungsvorgang einmal komplett durchzumachen, damit alle Nahrung verwertet werden kann und vor allem, damit sich unsere lebenswichtigen Organe regenerieren können. Schaut man sich beispielsweise die Leber an, so ist ihre Hauptregenerationsphase in der Nacht zwischen 1h und 3h. Wenn wir es nun gewohnt sind, genau in dieser Phase aktiv zu sein, kann sich unsere Leber nicht mehr richtig erholen und verliert damit ein großes Stück ihrer ungeahnten Kraft, unseren Körper zu entgiften.
Die Erholung in unserem Alltag, die Stille, die Ruhe sowie der erholsame Nachtschlaf sind also entscheidend für unser Wohlbefinden und ohne einen aktiven Parasympathikus nicht denkbar. Schauen wir uns große Bewegungen oder große Energiegewalten an, so geht ihnen meist eine große Stille voran. Die sogenannte Ruhe vor dem Sturm.
Doch hat diese Ruhe, diese Stille überhaupt noch einen Platz in unserem Alltag?
Gönnen wir uns diese Auszeiten, diese Momente der Erholung?
Bei vielen Menschen ist das eintauchen in den Parasympathikus bzw. ein paarsympathische Zustände kaum mehr möglich. Sie stehen dauerhaft unter Strom und kommen nicht mehr zur Ruhe.
Der Sympathikus – Unser Gefahrenmelder
Schauen wir uns nun den Sympathikus genauer an. Er springt an, wenn wir uns in eine wie auch immer geartete Gefahr begeben. Er sorgt dafür, dass wir unseren Körpers mobilisieren, indem wir entweder fliehen oder kämpfen. Bei der Aktivierung des Sympathikus sprechen wir auch vom Fight or Flight-Modus.
Ist der Sympathikus aktiv, hat dies unter anderem folgende Körperreaktionen zur Folge:
🔹 Erhöhung des Blutdrucks
🔹 Beschleunigung unseres Herzschlags
🔹 Erhöhung unserer Atemfrequenz
🔹 Ausschüttung diverser Stresshormone, vor allem Adrenalin und Cortisol
🔹 Verlangsamung unserer Verdauung
🔹 Reduzierung unserer Immunkraft
🔹 verminderter Speichelfluss
🔹 vermehrte Schweißbildung
🔹 Vergrößerung der Pupille
Auf diese Weise wird in erster Linie mehr Sauerstoff und mehr Blut in unsere Muskeln gepumpt, damit wir entweder schneller weglaufen oder unseren Gegner mit höherer Energie bekämpfen können. Dieses Blut wird aus dem Gehirn quasi abgezogen, was zur Folge hat, dass wir bei angeregtem Sympathikus kognitiv nicht mehr unbedingt die komplexesten Aufgaben lösen können. Denn unser Präfrontaler Cortex ist nur noch eingeschränkt funktionsfähig.
Außerdem sorgen die Hormone, die unser Körper nun massenweise ausschüttet dafür, dass unserer inneren Organe ihre Aktivitäten stark reduzieren wie z.B. alle Organe, die an der Verdauung beteiligt sind.
Diese Reaktionen laufen alle voll automatisch ab und machen absoluten Sinn, wenn wir uns vorstellen, dass ein Säbelzahntiger vor uns steht. Wir brauchen die Anspannung, das Blut und den Sauerstoff eher in unseren Muskeln, um schnell das Weite zu suchen und es ist dabei ziemlich egal ob wir während dessen die Relativitätstheorie begreifen.
Es ist in diesem Moment auch nicht sonderlich wichtig, ob wir all die wertvollen Bestandteile unserer aufgenommenen Nahrung gut verstoffwechseln oder uns gerade ein Schnupfenvirus plagt. Hier steht unser Leben auf dem Spiel – also heisst es alle Körperreaktionen sind auf Überleben gepolt.
Der große Haken an Sympathikus und Parasympathikus
Diese geniale Arbeit unseres Sympathikus, die unser Überleben rettet, hat nur einen ganz großen Haken – unser Sympathikus kann nicht unterscheiden zwischen einem gefährlichem Säbelzahntiger und unserem cholerischen Chef oder einem nicht funktionierendem Drucker.
Der Sympathikus reagiert also auch auf all den emotionalen Stress, der in unserem Alltag auf uns einprasselt. Immer dann, wenn wir unsere Identität in Gefahr sehen, springt er an.
Hier ein Beispiel für einen überreaktiven Sympathikus:
Wenn nun also mal angenommen unser Selbstbild davon bestimmt ist, dass wir nur dann ein guter Mensch sind, wenn wir unsere Arbeit immer perfekt und pünktlich erledigen. Wenn wir sogar noch weiter gehen und wir unseren Selbstwert davon abhängig machen, wie glücklich unser Chef oder unsere Chefin ist, haben wir an dieser Stelle ein riesengroßes Problem.
Denn wer ist schon immer perfekt? Und auf viele Dinge im Außen haben wir keinerlei Einfluss.
Unser Sympathikus dreht also schier durch. Wir erleben uns selbst als nicht gut genug oder vielmehr haben wir Angst, wir könnten nicht gut genug sein – und das setzt unseren Überlebensmodus in Gang. In unserem Körper wird eine starke Reaktion ausgelöst. Diese Reaktion ist unmittelbar und so intensiv, dass wir sofort handeln. Wir denken jetzt nicht rational nach, was das Beste für uns sein könnte. Wir tun einfach das, was unser Körper jetzt machen will oder viel mehr, was er machen muss. Wenn wir auf eine solche Art und Weise aktiviert werden, dann reagieren wir eben nicht mehr bewusst, sondern wiederholen eine Strategie unserer Vergangenheit, die damals unser Überleben gesichert hat.
Und dadurch, dass wir sofort auf diese alte Strategie zurückgreifen, nähren wir sie immer mehr und sie wird zu einer Art Autobahn in unserem Gehirn. Zu diesem Thema gibt es einen separaten Artikel, in dem ich genauer auf die Schwierigkeiten eingehe, wie wir unsere Verhaltensweisen verändern können.
Doch noch einmal zurück zum Sympathikus: Er arbeitet heutzutage bei den meisten Menschen in Dauerschleife und unserem Körper ist es selbst in Ruhephasen nicht mehr möglich zu entspannen, denn er erwartet jeden Moment den nächsten »Alarm«. Sei es körperlich, mental oder emotional. Unser Sympathikus unterscheidet hier nicht.
Unser Sympathikus arbeitet heutzutage immer öfter in Dauerschleife
Das kann man sich ein bisschen so vorstellen, als wäre eine Lampe an einen Bewegungsmelder angeschlossen. Bei »normal« aktivierten Menschen leuchtet die Lampe immer dann auf, wenn sich ein Mensch ab 1,60 m Körpergröße in die Nähe des Bewegungsmelder begibt.
Gehen wir nun von der oben beschriebenen Person aus, die ihre Identität damit verbindet, das sie zu jeder Zeit alle Aufgaben perfekt erledigt und die Zufriedenheit ihres Chefs oder ihrer Chefin ein Gradmesser ihres Selbstwertes ist. Hier wird die Sensibilität dieses Melders eine andere sein. Denn ihr primäres Ziel ist es, absolut keinen Fehler zu machen. Sie springt bereits bei den kleinsten Anzeichen einer nahenden Unzufriedenheit an. Um im Bild des Bewegungsmelders zu bleiben bei Katzen, anderen Kleintieren oder sogar bei Insekten.
Nun braucht es ziemlich viel Energie die Lampe immer wieder hoch fahren und dann wieder ausgehen zu lassen. Also »entscheidet« der Bewegungsmelder irgendwann, dass er einfach die ganze Zeit über aktiv ist und die Lampe dauerhaft leuchtet, auch wenn es gerade eigentlich überhaupt kein Licht braucht.
Genau das passiert in unserem Körper, wenn wir permanent vermeintlichen Stressfaktoren ausgesetzt sind. Unser Nervensystem bleibt einfach dauerangeschaltet, weil es unglaublich viel Energie kostet, sich permanent rauf und runter zu regulieren. Und mit diesem Nervensystem, das dauerhaft in dieser hohen Frequenz arbeitet, zeigen sich auch all die oben genannten Körperreaktionen. Nur dass sie hier nicht wirklich Sinn ergeben. Wir müssen nicht vor einer Gefahr weglaufen. Dennoch produzieren wir Adrenalin und Cortisol, die zu einer biochemischen Reaktionskette in unserem Körper führt. Unser Puls steigt, die Atemfrequenz fährt hoch, unsere Pupillen verengen sich, die Verdauung setz aus und noch vieles mehr. Nicht zuletzt bauen wir noch nicht einmal die hohen Spiegel an Adrenalin und Cortisol in unserem Körper ab, weil wir ja gar nicht mehr wegrennen oder kämpfen, so wie in früheren Zeiten.
Ein Teufelskreis, den man nicht so einfach durchbrechen kann.
Doch glücklicherweise gibt es heutzutage so viele Spezialisten, die sich mit diesen Themen auskennen und ihr wissen ebenso teilen wie ich. Wenn du also anfangen möchtest, mit deinem Nervensystem zu arbeiten, macht es im ersten Schritt total Sinn überhaupt erst einmal zu erkennen, wo du aktuell stehst. Denn Nervensystem-Übungen machen zwar super viel Sinn, aber nicht jede Übung hilft in jedem zustand. Im Gegenteil, sie können bestimmte Zustände sogar verschlimmern.
Deshalb ist der erste Schritt so wichtig, zu erkennen, wo du und dein Nervensystem stehst. Lerne dich hier besser kennen, um dann gezielt nach den Strategien zu greifen, die wirklich nachhaltig wirken. Mache heute den Test und finde heraus, welche Regulationstechniken für dich sinnvoll sind.
Diese Artikel könnten dir auch gefallen:
Löse deine inneren Blockaden - hier liegt der Schlüssel zu wirklicher Veränderung
Anzeichen eines dysregulierten Nervensystems – Was du unbedingt wissen musst
Verbindungen schaffen – eine der wichtigsten Voraussetzungen, um dein Nervensystem zu stärken
Fallbeispiel: Was hat Hilflosigkeit mit Fight or Flight zu tun?